Sex immer und überall, jederzeit benutzt und zum Sexobjekt degradiert werden: Das beschreibt den Kink „Free Use“, der gerade auf TikTok trendet.
Die Spielart, die eigentlich aus dem BDSM kommt, kann für Jugendliche allerdings gefährlich werden.
„Free Use“: BDSM-Kink trifft bei TikTok auf unerfahrene Teenies
Eigentlich ist „Free Use“ eine Spielart aus der BDSM-Szene, die im Rahmen des Dom- und Sub-Verhältnisses ausgelebt wird. Zwei erwachsene, sexuell erfahrene Menschen einigen sich darauf, dass einer von beiden ohne vorherige Nachfrage immer und überall sexuell benutzt werden darf. In den vergangenen Jahren tauchten auch immer mehr Pornos zu diesem Kink im Netz auf.
Seit einiger Zeit trenden Videos von jungen Frauen unter dem Hashtag #freeuse aber auf der Videoplattform TikTok und bekommen dort Millionen Aufrufe und auch bei Reddit explodieren laut Vice-Recherchen die Threads zu diesem Thema.
Was im BDSM-Bereich mit dem Einverständnis zweier Menschen ausgelebt wird, die ihre Grenzen und Vorlieben kennen, kann bei jungen Menschen auf TikTok zu einer völlig falschen Vorstellung von Sexualität führen. Die Nutzer dort sind nämlich im Durchschnitt erst 10 bis 19 Jahre jung.
Erfahrene BDSMler, die ihren Kink gemeinsam genießen, legen oft Regeln fest, zum Beispiel, dass „Free Use“ nur zu Hause, nicht während der Periode oder beim Arbeiten praktiziert wird. Außerdem gibt es ein Safeword, das der verfügbaren Person jederzeit das Recht einräumt, den Sex doch zu verweigern.
Und genau das ist der Unterschied zwischen Konsens und der auf TikTok inszenierten Vision, die von vielen als Vergewaltigungsfantasie kritisiert wird.
TikTok-Nutzer zu unreif und unreflektiert für „Free Use“-Sextrend
Für Jugendliche, die selbst noch nicht gefestigt sind in ihrer Persönlichkeit und Sexualität, ist die Unterscheidung und das Verständnis dafür schwierig. Dies bestätigt auch Expertin Nadine Beck, die das Aufklärungsbuch „Sex in echt“ für Jugendliche geschrieben hat, gegenüber Bild.
„Es ist nichts für Menschen, die das Spiel mit dem Sex, Konsens und Kommunikation noch üben, sondern für Fortgeschrittene! ‚Free Use‘ bei jemandem, der nicht bereit für Sex ist und es nur macht, weil er oder sie meint, mitmachen zu müssen, kann echt in die Hose gehen – körperlich wie geistig“, gibt die Autorin zu bedenken.
Machtgefälle in einer Beziehung, Abhängigkeiten oder Unterschiede in der geistigen Entwicklung seien gefährliche Stolpersteine. „Das mit dem Konsens will auch geübt sein: Nur, weil du am Anfang ‚Ja‘ dazu gesagt hast, muss das nicht heißen, dass du nicht dabei oder danach merkst, dass es dir nicht guttut“, erklärt die Expertin.
Konsens müsse man immer wieder abchecken, auch nonverbal. Und gerade das fällt vielen Menschen schwer, denn oft trauen sich vor allem jüngere und weniger selbstbewusste Menschen nicht, ‚Nein‘ zu sagen, Ängste, Bedenken oder Schmerzen zu kommunizieren. Aus unterschiedlichen Gründen, sei es, dem anderen gefallen, ihn nicht zu enttäuschen oder dumm dazustehen zu wollen.
Das bestätigt auch Beck: „Wir haben so schon oft genug beim Sex Probleme, unsere ehrlichen Gefühle zu kommunizieren, da halte ich ‚Free Use‘ echt für die Champions League.“
„Free Use“-TikToks vermitteln falsches Frauenbild
Zudem führe der Kink auf TikTok zu einem falschen Frauenbild. Junge Männer werden darin bestätigt, Frauen kontrollieren zu dürfen, und Mädchen in ihrer Rolle als „Pick me-Girl“ bestärkt, Männern gefallen zu müssen.
Dass wir 2023 im Bezug auf Frauenbilder noch immer viel zu tun haben, demonstrieren auch andere TikTok-Trends wie „Elis Worte“. Ein Kommentar, der massenweise, fast sektenartig, von männlichen TikTok-Nutzern unter Videos von jungen Frauen gepostet wird, bei denen der Slip aus der Hose schaut. Er ist zurückzuführen auf den Streamer Eligella, der betont, dass Frauen, die sich so darstellen, nuttig seien.
Nadine Beck führt derlei Entwicklungen darauf zurück: „Im Überangebot von Identifikationsfiguren und Rollenbildern suchen wir häufig die traditionellen Rollen- und Verhaltensklischees, #freeuse passt da neben #tradwife, bei denen sich Frauen wie in den 1950er-Jahren dem Mann unterwerfen, in die fragwürdigen und problematischen Trends leider hervorragend rein.“
„Free Use“ bleibt also ein Kink, der nicht in die Trendspalte von Teenie-TikTok gehört, sondern in erfahrene Hände. Anderenfalls können durch die Objektifizierung junger Frauen schnell die Grenzen zwischen Einverständnis und Vergewaltigung verwischen.