Sex im Alter oder sogar im Seniorenheim ist ein Tabu! Altersheim-Sex scheint einfach nicht zu existieren – denkt man. Dabei gibt es Sexualassistenzen und Prostituierte, die alte und eingeschränkte Menschen sexuell begleiten und auch Geschlechtsverkehr mit ihnen haben. Hier berichten fünf Prostituierte von ihren Erfahrungen mit Kunden im Seniorenalter.
Immer mehr Prostituierte für Senioren im Heim
Der„Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen“ (BSD), der deutsche Berufsverband der Prostitutionsbranche, geht davon aus, dass immer mehr Senioren in Heimen sexuelle Dienstleistungen von Prostituierten in Anspruch nehmen. Ein Grund dafür ist die langsam wachsende Sensibilisierung des Pflegepersonals sowie von Alten- und Pflegeheimen für das Thema. Bewohner, die ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben können, sind weniger übergriffig gegenüber dem Personal, haben mehr Lebensfreude und fühlen sich wohler.
Der Prostitutions-Selbsthilfeverein Hydra sagt, dass sich alleine Berlin mehrere Sexarbeiterinnen auf Senioren spezialisiert haben. Hydra-Sozialarbeiterin Marion Detlefs verrät gegenüber BZ Berlin, dass der Verein wöchentlich mehrere Anrufe aus Seniorenheimen mit der Bitte um Hilfe bekommt. Escorts wie Yasemin (24), die sich um Kunden jenseits der 60 kümmert, wird dabei laut eigener Aussage aber eher ins Heim „geschmuggelt” – entweder von einem Sozialarbeiter oder sie gibt sich als Enkelin aus.
Huren und Escorts – ein Tabu im Altersheim
Im Spiegel-Interview sagt Sexualwissenschaftler Harald Stumpe von der Hochschule Merseburg, dass das Pflegepersonal oft mit der Sexualität der Bewohner überfordert ist. Die Sexualassistentin und ehemalige Prostituierte Stephanie Klee (51) bestätigt im Interview mit tip Berlin, dass oft zu spät reagiert wird: Sie und ihre Kollegen werden erst kontaktiert, wenn die Patienten und Bewohner verhaltensauffällig werden. Übergriffiges Verhalten ließe sich aber vermeiden, wenn mehr Senioren sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnten.
Um das zu ändern, bietet Stephanie Klee mit ihrer Agentur „highLights“ Seminare für „Sex im Alter“ an. Darin wird Pflegepersonal von Heimen für die sexuellen Wünsche und Bedürfnisse ihrer Bewohner sensibilisiert, damit diese nicht mit Medikamenten unterdrückt werden.
Sexuelle Dienstleistungen für Senioren: Sexualassistent vs. Prostituierte
Sexualassistenz oder Sexualbegleitung umfasst je nach Bedürfnis und Wunsch der Klienten intime Massagen, Handjobs, die Beschaffung von Verhütungsmitteln, Kuscheln oder eben Geschlechtsverkehr im Rahmen der körperlichen und geistigen Möglichkeiten. Sexualassistenzen befriedigen oft auch „nur” das Bedürfnis nach emotionaler Nähe und verbringen Zeit mit ihren Klienten, ohne direkt intim zu werden.
Klassische Escorts oder „Huren” hingegen besuchen ihre Kunden oder Klienten für Sex (dem aber auch ein Date vorausgehen kann). Genau genommen ist Sexualassistenz aber Prostitution und wird auch als solche bezeichnet.
Einige Sexualbegleiter waren vorher Prostituierte und haben sich meist in zunehmendem Alter für Sexualassistenz entschieden, wie Sexualassistentin Stephanie Klee. Manche kommen wie Sexualassistentin Elisabeth Reuther (60) aus anderen Berufen. Im Spiegel-Interview erzählt Reuther von ihrem Grund, sexuelle Dienstleistungen für Senioren im Heim anzubieten: „Ich wollte Menschen, die in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind, etwas Gutes tun.” Sie besucht regelmäßig 25 Klienten in Senioren- und Pflegeheimen.
So ist der Sex mit Senioren für Escorts
Prostituierte Yasmin findet es normal, dass ältere Männer ein Bedürfnis nach Erotik und Nähe haben – wenn auch anders als junge Kunden: „Vielen geht es gar nicht um Sex. Einige wollen nur kuscheln und gestreichelt werden. Andere möchten mit mir Fernsehen gucken oder sich unterhalten.“ Und sie sagt, dass ihre älteren Klienten oft höflicher sind als junge Kunden.
Ähnliche Erfahrungen macht auch die Kölner Sexarbeiterin Nadine Kopp (35), die ausgebildete Altenpflegerin und Prostituierte ist, und von den Senioren selbst oder deren Pflegern gebucht wird: „Es kommt oft vor, dass meine Kunden aus dem Altersheim einfach nur geküsst und gestreichelt werden wollen.“ In Einrichtungen, die offen mit dem Thema umgehen, kann Nadine sich in spezielle Räume mit ihren Klienten zurückziehen.
Sexarbeiter und Sexualassistent Hans Glück (64) bietet als einer von wenigen Männern sexuelle Dienstleistungen in Seniorenheimen an. Er spürt bei seinen Klienten immer wieder, wie wichtig Körperkontakt und Nähe sind. Im Spiegel-Interview erzählt er vom Besuch bei einem 70-jährigen Kunden: „Einfach mal nackte Haut spüren, berühren, anfassen, mal ein bisschen rumspielen” war das, worum es dem älteren Herrn ging. Glück findet es wichtig, dass es Menschen gibt, die Senioren in diesen Lebensumständen begleiten und ihnen eine schöne Zeit bereiten.
Sex im Heim: Für viele Senioren kaum möglich
Alte Menschen, die in Pflegeheimen leben, haben meist keine Partner mehr und wenig soziale Kontakte außerhalb der Einrichtung – sexuelle Begegnungen schon gar nicht. Sie sind auf die Hilfe und vor allem den offenen Umgang mit Sexualität von Pflegern und Sozialarbeitern angewiesen, damit sie die Dienste von Escorts und Sexualbegleitern in Anspruch nehmen können. Sex auf Rezept gibt es leider nicht im Altersheim und so können sich nur wenige Bewohner solche Liebesdienste leisten.
Viele Senioren trauen sich nicht, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern – vor allem aus Scham, dass sie nicht ernst- und wahrgenommen werden. Das betrifft vor allem Frauen, die aus einer Generation stammen, in der ihre sexuelle Lust keine große Rolle spielte. Nicht umsonst sind 90 Prozent der Klienten von Escorts in Altenheimen Männer. Sexuelle Aufklärung ist für Pflegekräfte künftig noch wichtiger, um ihren Bewohnern diese Angebote ermöglichen zu können.