Ausziehen. Vögeln. Sich frei fühlen. Sexpositive Partys bieten ihren Besucher eine einmalige Atmosphäre: Sex kann hier offen praktiziert werden – ob auf oder neben der Tanzfläche. Unser Autor hat eine sexpositive Party in Berlin besucht und berichtet von seinen Erlebnissen.
Mein erstes Mal auf einer sexpositiven Party
Es gibt Tage in Berlin, da ist man genervt, einsam, fühlt sich verloren im anonymen Großstadtdschungel und möchte am liebsten nur noch weg. Und es gibt Tage in Berlin, da fühlt man das genaue Gegenteil: Man ist wie im Rausch, 48 Stunden wach ohne müde zu sein, springt von einem Abenteuer zum nächsten und hat das Gefühl, an jeder Ecke etwas Neues erleben zu können.
Vor kurzem hatte ich wieder so eine Erfahrung: Ich bin zum ersten Mal auf einer sexpositiven Party gewesen – und hatte dort die Zeit meines Lebens.
Was ist eine sexpositive Party?
„Lass uns auf eine sexpositive Party gehen“, sagte meine beste Freundin Ella eines Tages wie aus dem Nichts zu mir. „Lass uns heute Abend etwas ganz besonderes erleben.“ Ich schaute sie fragend an: „Wohin willst du mit mir gehen? Auf eine Sex-Party?“ Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sex-Party! Eine sex-positive Party.“ Das Wort „positiv“ betonte sie dabei besonders auffällig.
Da ich immer noch Bahnhof verstand, klärte mich Ella kurz auf: Unter sexpositiven Partys versteht man keine bloßen Sex-Veranstaltungen. Sex ist vor Ort zwar erlaubt und möglich, aber keinesfalls ein Muss. Denn: Es geht überhaupt nicht darum, es mit jedem Gast zu treiben, sondern einfach nur darum, Neues auszuprobieren und Sexualität (in welcher Form auch immer) frei von Geschlechter- oder Körpernormen genießen zu können. Ich fand die Idee interessant und willigte schlussendlich ein, mitzukommen.
Es gibt viele sexpositive Partys in Berlin
Eine sexpositive Party in Berlin zu finden, ist gar nicht (mehr) so schwierig. Mittlerweile haben sich einige Partyreihen in der Clubszene der deutschen Hauptstadt etabliert. Neben bekannten Clubs wie dem KitKat und dem About.Blank dürfte vor allem die Pornceptual in der Alten Münze vielen Menschen ein Begriff sein.
Als wir in der Schlange vor dem Club auf unseren Einlass warten, ahne ich bereits, dass es an diesem Abend keine „normale“ Party werden würde: Vor uns stehen Menschen in ausgefallenen Fetisch-Kostümen. Latex-Suits, Lack und Leder-Outfits so weit das Auge reicht.
Als die robuste Türsteherin, eine Drag Queen mit feuerrotem, langem Haar, Ella und mich in der Schlange entdeckt, deutet sie mit erhobenem Zeigefinger auf unsere fehlenden Kostüme: „So lasse ich euch zwei Süßen nicht hier rein.“
Schnell wird uns klar: Was den Dresscode betrifft, sind wir total unvorbereitet gewesen – doch glücklicherweise gibt es noch eine andere Lösung: Ausziehen! Hastig entledigen wir uns unserer Straßenkleidung, stopfen sie in zwei große blaue Plastiksäcke und geben sie an der Garderobe ab. Nur in Unterwäsche bekleidet, dürfen wir den Club schließlich betreten.
Sex findet auf und neben der Tanzfläche statt
Auf der Tanzfläche begegnen wir vielen anderen nackten Körpern. Sie bewegen sich rhythmisch zum Beat (es läuft Techno, was sonst, wir sind schließlich in Berlin), tanzen eng umschlungen oder ganz alleine nur für sich.
Andere Menschen präsentieren stolz ihre extravaganten Fetisch-Kostüme, lassen sich bewundern oder knutschen wild an der Bar. Aus manch einer dunklen Ecke ertönen leise Lustgeräusche. Mir wird klar: Heute Abend ist alles möglich.
Als ich mich wieder zu Ella umdrehe, flirtet sie bereits wie wild mit einem Typen, der ein schwarzes Leder-Harness trägt und sonst nichts. Ich beschließe, den beiden etwas Zeit für sich zu geben und mich weiter im Club umzusehen. Wenig später betrete ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Darkroom.
Besonders bei Frauen sind sexpositive Events beliebt
Auf jedem sexpositiven Event gilt eine klar formulierte „Ask but don’t touch-Policy“. Nur weil du nackt und horny bist, ist es dir noch lange nicht gestattet, andere Besucher ohne deren Einwilligung anzufassen. Eine sexpositive Party versteht sich in diesem Kontext als safer space – als ein geschützter Raum, der frei ist von jeglicher Diskriminierung, Ausgrenzung und sexuellen Übergriffen.
Besonders bei Frauen scheint dieses Partykonzept gut anzukommen. Überhaupt sind erstaunlich viele junge Frauen im Club anwesend. Ähnlich wie alle anderen, wollen auch sie in dieser Nacht sich selbst und ihren Körper anders kennenlernen, sexuell experimentieren und neue Dinge ausprobieren.
Den ganzen Abend über behalten sogenannte „Awareness-Teams“ das Partygeschehen im Blick. Fällt ein Gast unangenehm auf, weil er zu betrunken oder high ist oder anderen Menschen aufdringlich gegenübertritt, wird er freundlich aber bestimmt der Location verwiesen. Niemand soll sich auf einem sexpositiven Event bedrängt oder belästigt fühlen.
Sexualitäten verschwimmen im Club
Ob gleich- oder gegengeschlechtlich, auf sexpositiven Partys spielt die Sexualität keine große Rolle. Alle Grenzen verschwimmen auf der Tanzfläche, werden irrelevant, unnötig. Auch wenn es nur für einen Abend ist: Für viele Menschen bietet eine sexpositive Party die Chance, aus ihren herkömmlichen Rollenmustern auszubrechen.
Als Besucher einer solchen Veranstaltung sollte man lediglich versuchen, dem Geschehen mit größtmöglicher Offenheit zu begegnen. Vieles von dem, was man vor Ort sieht, dürfte neu und ungewohnt sein. Für manche Menschen mag es zunächst auch Überwindung kosten, sich auf das erotische Party-Konzept voll und ganz einzulassen, selbst halbnackt einen Club zu betreten oder mit offen gelebter Sexualität konfrontiert zu werden.
Nichtsdestotrotz – es gibt gute Gründe, warum sexpositive Events immer mehr Menschen in ihren Bann ziehen. Mich eingeschlossen.
Und vor allem in einer Stadt wie Berlin gilt: Es gibt Tage, da fühlt man sich gefangen in der Einsamkeit und Anonymität der Großstadt. Doch es gibt auch Tage, da fühlt man sich so frei wie nie zuvor. Auch sexuell.