Es ist nicht das erste Mal, dass große Fußballereignisse in Deutschland mit einem Anstieg an Zwangsprostitution in Zusammenhang gebracht werden. Aber stimmt die Verbindung überhaupt? Ein Berufsverband für Sexarbeiter sieht das als Falschmeldung und wirft Politikern und Medien vor, Zahlen ohne Nachweise in den Raum zu werfen.
Politiker und Medien verbreiten Falschmeldungen zur Sexarbeit während der EM
Es klingt schockierend: 9 von 10 Prostituierten sollen ihrer Arbeit nicht freiwillig nachgehen. Besonders heikel soll es während der EM 2024 in Deutschland werden. Christliche Medien vermelden die Befürchtungen von Vertretern eines Prostitutionsverbotes: „Während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland ist mit einer Zunahme von Zwangsprostitution zu rechnen.“
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Und auch die Politik nimmt das Thema auf. Von „noch mehr Zwangsprostitution“ während der WM soll SPD-Familienpolitikerin Leni Breymaier laut einem Instagram-Post des ZDFheute gesprochen haben. Und natürlich ist auch die bekannte Prostitutions-Gegnerin Dorothee Bär (CDU) mit Schocknachrichten nicht fern: „Um den Bedarf zu decken, werden Frauen dafür zu tausenden aus den ärmsten Ländern an die Austragungsorte in Deutschland gebracht.“
Doch was ist dran an den Befürchtungen? Laut dem BesD, einem Berufsverband für Sexarbeiter, handelt es sich schlichtweg um eine Falschmeldung. Nachweise für die Behauptungen fehlen. Stattdessen werden Gerüchte ausgeschlachtet. „Können Behauptungen, wenn sie nur oft genug in den Medien wiederholt werden, zu Wahrheiten werden?“, fragt der BesD in einer Pressemitteilung und schließt: „Wenn es um die Prostitutionsdebatte in Deutschland geht, ist die Antwort: leider ja.“
Bereits bei der WM in Deutschland gab es Falschmeldungen zur Zwangsprostitution
Der Berufsverband für Sexarbeit erkennt ein Muster, welches schon 2006 während der WM in Deutschland auftrat. Damals wurde über einen gigantischen Anstieg der Prostitution im Gastland spekuliert. Sogar die Regierungen anderer WM-Teilnehmer zeigten sich besorgt. Einige WM-Teams sollen gar über einen Boykott der WM in Deutschland nachgedacht haben.
Zehn Jahre später ist der Deutschlandfunk diesen Spekulationen auf den Grund gegangen, mit erschreckenden Ergebnissen: Nichts an dem in den Medien erwähnten Ansturm von 40.000 Huren aus Osteuropa habe mit der Realität zu tun gehabt. Nicht einmal die Befürchtungen basierten auf Fakten.
Stattdessen sei der Menschenhandel in Deutschland 2006 nicht merklich angestiegen. Bei den in den Medien häufig genannten 40.000 zusätzlichen Prostituierten handelte es sich schlicht und einfach um ein unbelegtes Gerücht. Doch einmal im Umlauf, war es nicht mehr aufzuhalten.
Politiker und Organisationen biegen sich die Wahrheit zurecht
Wiederholt sich nun der Medien-Skandal? Als populistisches Mittel lassen sich solche erfundenen Zahlen allemal nutzen. Denn ein Gerücht schürt Ängste und kann damit die Unterstützung für politische Programme wie ein Prostitutionsgesetz im Rahmen des „nordischen Modells“ stützen.
Im Rahmen des „nordischen Modells“ sollen Freier bei Inanspruchnahme von Paysex bestraft werden. Politikerinnen wie Dorothee Bär haben diesen Entwurf fest zur eigenen Agenda gemacht. Doch viele Interessenvertretungen von Sexarbeitern kritisieren den Vorschlag. Anstelle von Verboten helfe den Prostituierten eher Aufklärung der Gesellschaft und bessere Arbeitsbedingungen.